Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 2. Juni 2017
(Aktenzeichen V ZR 196/16) entschieden, dass ein
Grundstückseigentümer eine grenzüberschreitende Wärmedämmung
eines benachbarten Neubaus, welcher nach den geltenden
Vorschriften der Energieeinsparverordnung (EnEV) geplant und
gebaut wird, nicht dulden muss.
Kommentar von RA
Lutz Fischer, St. Augustin
Mitteilung des
Bundesgerichtshofs (BGH)
Fachbeitrag in
"Der Bausachverständige"
Wollen Sie auf dem Laufenden bleiben?
In der Sache geht es um die überaus praxisrelevante
Frage, ob ein Grundstückseigentümer verpflichtet
ist, die Wärmedämmung einer Grenzwand zu dulden,
welche zwar den Anforderungen der
Energieeinsparverordnung (EnEV) entspricht, jedoch
dabei die Grundstücksgrenze überschreitet.
Für Neubauten hat der
BGH nunmehr eine solche Duldungspflicht verneint. In
seiner Entscheidung hat er sich maßgeblich darauf
gestützt, dass eine Duldungspflicht nach dem
Berliner Nachbarrechtsgesetz (§ 16a Abs.1 NachbG Bln)
für eine die Grundstücksgrenze überschreitende
Wärmedämmung einer Grenzwand, die erstmals die
Anforderungen der bei der Errichtung des Gebäudes
bereits geltenden Energieeinsparverordnung (EnEV)
erfüllt, nicht besteht.
Zwar haben neben Berlin (§ 16a Abs.1 NachbG Bln)
auch weitere Bundesländer in die jeweiligen
Landes-Nachbarrechtsgesetze Regelungen aufgenommen,
die beim Bauen im Bestand den Überbau durch
nachträgliche Wärmedämmung, also das Dämmen über die
Grundstücksgrenze hinaus, unter gewissen
Voraussetzungen (aber keineswegs entschädigungslos)
gestatten, so z.B. Baden-Württemberg (§ 7 c
Nachbarrechtsgesetz BW), Bayern (Art. 46a AGBGB
Bayern), Brandenburg (§ 19a Brandenburgisches
Nachbarrechtsgesetz), Bremen (§ 24a AGBGB Bremen),
Hessen (§ 10a Hessisches Nachbarrechtsgesetz,
Nordrhein-Westfalen (§ 23a Nachbarrechtsgesetz NW)
und Niedersachsen (§ 21 a Niedersächsisches
Nachbarrechtsgesetz). Diese Regelungen gelten
allerdings nicht für Neubauten.
Die aktuelle BGH-Entscheidung betraf insoweit keinen
Bestandsbau, der nachträglich energetisch saniert
wurde, sondern einen Neubau. Für Neubauten verbleibt
es damit bei dem Grundsatz, dass diese so zu planen
sind, dass sich die Wärmedämmung in den Grenzen des
eigenen Grundstücks befindet.
Hier eröffnet sich also ein Haftungsrisiko für den
Planer, wenn er nicht berücksichtigt, dass sich die
Wärmedämmung nach Ausführung innerhalb der eigenen
Grundstücksgrenzen befinden muss. Denn bereits nach
§ 912 Abs.1 BGB scheidet eine Duldungspflicht des
Nachbarn bei einem Überbau dann aus, wenn der
Grundstückseigentümer, der über die Grenze baut,
entweder vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt
hat. Wenn jemand also trotz Kenntnis der in der
Energieeinsparverordnung (EnEV) geltenden
Wärmeschutzanforderungen ein ungedämmtes Haus
unmittelbar an die Grenze zum Nachbargrundstück
baut, dürfte hier zumindest eine grobe
Fahrlässigkeit der Planers anzunehmen sein, die dann
ggf. dem Bauherrn zuzurechnen ist.
Offen gelassen hat der BGH die Frage, ob die
landesrechtlich geregelte Duldungspflicht bei einem
Überbau durch Wärmedämmung überhaupt
verfassungsgemäß ist. Denn eigentlich gilt der
Grundsatz, dass das Bundesrecht (beispielsweise § 912 ff. BGB)
dem Landesrecht vorgeht.
Praxisrelevant sind Fälle des Überbaus durch
Wärmedämmung jedenfalls, insbesondere beim Bauen im
Bestand. So kann ich aus meiner Praxis über einen
Fall berichten, bei dem die Ausführung der
Wärmedämmung (inkl. Putzschicht) an einer Grenzwand
dazu führte, dass deutlich über die Grenze hinaus
gebaut wurde, mit der Folge, dass der vom Überbau
betroffene Nachbar seine Einfahrt nicht mehr richtig
nutzen konnte, weil ihm schlichtweg die hinreichende
Breite fehlte, um mit seinem Transporter die auch
vorher bereits recht schmale Einfahrt noch zu
befahren. Hier konnte ein Rückbau der Wärmedämmung
bereits im Rahmen von außergerichtlichen
Verhandlungen erreicht werden. Insofern empfiehlt
sich stets, bereits vor Ausführung der Wärmedämmung
die Frage zu klären, ob diese die Grundstücksgrenze
überschreiten wird und, falls dies der Fall sein
sollte, entsprechende Vereinbarungen über eine
Duldung mit dem Nachbarn auszuhandeln.
Für Neubauten bringt die BGH-Entscheidung auch schon
nach Verlautbarung durch die Pressemitteilung eine
klare Aussage. Vor einer weiteren Bewertung bleibt
aber die Veröffentlichung der Entscheidungsgründe
abzuwarten.
Autor: Rechtsanwalt Lutz D. Fischer,
www.fischer.legal, St. Augustin
Der Bundesgerichtshof hat am Freitag, den 2 Juni
2017 entschieden, dass
ein Grundstückseigentümer nicht nach
§ 16a Abs. 1 NachbG Bln*) eine die Grundstücksgrenze
überschreitende Wärmedämmung einer Grenzwand dulden
muss, mit der der benachbarte Grundstückseigentümer
erstmals die Anforderungen der bei der Errichtung
des Gebäudes bereits geltenden
Energieeinsparverordnung (EnEV) erfüllt. Die Frage,
ob die Vorschrift des § 16a NachbG Bln
verfassungsgemäß ist, ist offen geblieben.
Sachverhalt:
Die Mitglieder der klagenden
Wohnungseigentümergemeinschaft und der Beklagte sind
Eigentümer benachbarter Grundstücke in Berlin. Das
Grundstück des Beklagten ist mit einem Reihenendhaus
bebaut, das an der Grenze zum Grundstück der
Wohnungseigentümer steht. An dieses Gebäude hatte
ein Bauträger 2004/2005 das heute den
Wohnungseigentümern gehörende Mehrfamilienhaus
angebaut. Die Giebelwände der Gebäude decken sich
nicht vollständig, vielmehr steht diejenige des
Mehrfamilienhauses entlang der Grundstücksgrenze
1,61 m vor. In diesem Bereich der Giebelwand brachte
der Bauträger im August 2005 Dämmmaterial an, das 7
cm in das Grundstück des Beklagten hineinragt und
unverputzt und nicht gestrichen ist. Nun wollen die
Wohnungseigentümer Putz und Anstrich mit einer
Stärke von maximal 0,5 cm anbringen. Die Klägerin
nimmt, u.a. gestützt auf § 16a Abs. 1 und 3 Berliner
Nachbarrechtsgesetz (NachbG Bln), den Beklagten auf
Duldung dieser Maßnahmen in Anspruch.
Bisheriger Prozessverlauf:
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die
Berufung des Beklagten hat das Landgericht die Klage
abgewiesen.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Der unter anderem für das Nachbarrecht zuständige V.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision
der Klägerin zurückgewiesen.
Die Duldungspflicht nach § 16a Abs. 1 NachbG Bln
gilt nicht für eine die Grundstücksgrenze
überschreitende Wärmedämmung einer Grenzwand, mit
der der benachbarte Grundstückseigentümer erstmals
die Anforderungen der bei der Errichtung des
Gebäudes bereits geltenden Energieeinsparverordnung
(EnEV) erfüllt. Diese Einschränkung ergibt sich aus
der gebotenen Auslegung der Vorschrift nach deren
Sinn und Zweck. Der Landesgesetzgeber wollte
Grundstückseigentümern nicht generell gestatten,
eine Wärmedämmung grenzüberschreitend, also im Wege
des Überbaus, anzubringen. Er verfolgte vielmehr das
Ziel, energetische Sanierungen von Altbauten zu
erleichtern. Diese wurden bei Gebäuden, die auf der
Grundstücksgrenze stehen, häufig dadurch erschwert,
dass der Nachbar die notwendige Zustimmung zu dem
durch die Verkleidung der Grenzwand mit einem
Wärmeverbundsystem entstehenden Überbau verweigerte
oder von unverhältnismäßigen finanziellen
Forderungen abhängig machte. Dem sollte durch die
Einführung einer Duldungspflicht begegnet werden.
Anders als für den Altbaubestand hat der
Landesgesetzgeber für die Wärmedämmung von Neubauten
kein Regelungsbedürfnis in § 16a NachbG Bln gesehen.
Er hat im Gegenteil ausgeführt, dass die
Duldungsverpflichtung nur bei Bestandsbauten und
nicht bei Neubauten gelte, weil den
Wärmeschutzanforderungen durch eine entsprechende
Planung Rechnung getragen werden könne. Für
Neubauten bleibt es somit bei dem Grundsatz, dass
sie so zu planen sind, dass sich die Wärmedämmung in
den Grenzen des eigenen Grundstücks befindet.
Das hat der Bauträger bei Errichtung des Gebäudes
2004/2005 nicht beachtet. Er hat trotz der in der
Energieeinsparverordnung (EnEV) 2001 vom 16.
November 2001 (BGBl. I. 3085) geltenden
Wärmeschutzanforderungen das ungedämmte
Mehrfamilienhaus unmittelbar an die Grenze zum
Grundstück des Beklagten gebaut. In dieser Situation
gilt die Duldungspflicht des Nachbarn nach § 16a
Abs. 1 NachbG Bln nicht.
Vorinstanzen:
Nachbarrechtsgesetz (NachbG) Berlin (Bln)
§ 16a Wärmeschutzüberbau der Grenzwand
(1) Der Eigentümer eines Grundstücks hat die
Überbauung seines Grundstücks für Zwecke der
Wärmedämmung zu dulden, wenn das zu dämmende Gebäude
auf dem Nachbargrundstück bereits besteht.
[…]
(3) Der Begünstigte des Wärmeschutzüberbaus muss die
Wärmedämmung in einem ordnungsgemäßen und
funktionsgerechten Zustand erhalten. Er ist zur
baulichen Unterhaltung der wärmegedämmten Grenzwand
verpflichtet.
Quelle: Presseinfo des Bundesgerichtshofs vom 2. Juni 2017
Beitrag in der Fachzeitschrift "Der
Bausachverständige" - Ausgabe 4 / 2011.
Wer einen Altbau
energetisch saniert und über ein Zehntel der
Außenwandfläche dämmt, muss die
Energieeinsparverordnung (EnEV 2009) beachten.
Sie bestimmt, wie gut die Außenwand mindestens
gedämmt sein muss. Wenn das Haus an der
Grundstücksgrenze steht, würde eine zusätzliche
Außendämmung zum Nachbarn oder über die Straße
ragen. Wie sieht die Rechtslage in diesem Fall
aus? Müsste der Nachbar erst zustimmen? Der
Beitrag beschreibt die Problematik und Lösung
für einen Altbau in Nordrhein-Westfalen und
erläutert die Rechtslage auch für Berlin und
Hessen.
Außenwände im Grenzfall nach EnEV dämmen
(pdf)
Redaktion: Melita Tuschinski, Dipl.-Ing./UT,
Freie Architektin
in Stuttgart, Herausgeberin und Redakteurin
EnEV-online.de
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